Gefordert war die Neuentwicklung einer Spachtelmasse auf Basis eines Naturgipses (beta-Halbhydrat) mit möglichst geringen Rohstoffkosten bei möglichst guter Verarbeitbarkeit.
Als Referenzmaterial hat mein Kunde eine Probe von einem, in seiner Region sehr beliebten, Flächenspachtel mitgeschickt. Die Verarbeitungseigenschaften dieses Referenzmörtels wurden im ersten Schritt mittels rheologischer Kenngrößen charakterisiert und quantifiziert.
Zum Abmagern wurde ein Kalksteinmehl verwendet. Das Mengenverhältnis Gips/Kalksteinmehl wurde unter Abwägung von Rohstoffkosten und Festigkeitsanforderungen auf 70/30 festgelegt.
Gesucht waren nun die weiteren Rezepturkomponenten: Verzögerer, Celluloseether (CE), Stärkeether (StE) und gegebenenfalls weitere Additive.
Die Auswahl des Verzögerers erfolgt mit Hilfe der Wärmeflusskalorimetrie, aber da auch die anderen Additive einen Einfluss auf die Abbindecharakteristik haben, fällt diese Entscheidung erst zum Schluss. Für die Versuche zur Auswahl der anderen Additive wurde vorläufig mit Retardan GK verzögert.
Für die Auswahl des Stärkeethers wurden die Kandidaten in einer Basisrezeptur rheologisch charakterisiert und anhand der Ergebnisse der geeignetste Stärkeether ausgewählt.
Für die Auswahl des besten Celluloseethers standen drei Produkte verschiedener Hersteller zur Verfügung, die als Standardprodukte für Gipsspachtelmassen angeboten werden.
In Vorversuchen zeigten sich deutliche Unterschiede im Verdickungsverhalten und es deutete sich an, dass mit Celluloseether plus Stärkeether das Stehvermögen des Referenz-Flächenspachtels nicht zu erreichen ist. Deshalb wurde ein weiteres Additiv einbezogen, von dem bekannt war, dass es zusätzliches Stehvermögen bringt (Beroplus N1). Das Ziel war jetzt, eine Kombination aus den fünf Additiven (drei CE, ein StE, Beroplus) zu finden, welche die passende Kombination aus Wasserrückhaltevermögen und Verarbeitungseigenschaften bringen.
Das größte Problem liegt in den zwei Komponenten die Black Box-Systeme darstellen, Celluloseether und Beroplus. Beide bestehen aus einer unbekannten Kombination aus verschiedenen Rohstoffen und sind in ihrer Wirkung und ihren Wechselwirkungen nicht berechenbar. Ohne die Methodik der statistischen Versuchsplanung würde ich im Nebel stochern und könnte nur hoffen, dass mit viel Glück schon nach wenigen Versuchen eine brauchbare Additiv-Kombination gefunden ist.
Schlussendlich sollte nach Möglichkeit nur einer der drei Celluloseether in die Rezeptur (keine Mischung aus ihnen), das wurde im Versuchsplan entsprechend berücksichtigt. Es wurde ein D-optimaler Plan mit quadratischem Modellansatz gewählt, insgesamt 25 Versuche, davon vier Replikationen und drei Lack-of-Fit-Versuche. Hier zeigt sich einer der Vorteile von DoE: Der Versuchsumfang ist vor Beginn der Versuche bekannt. Wenn ich den Versuchsraum richtig abgesteckt habe kann ich sicher sein, dass ich nach Abschluss der 25 Versuche eine geeignete Rezeptur haben werde.
Einflussfaktoren: Die Dosierungen von Celluloseether, Stärkeether und Beroplus sowie der Typ Celluloseether.
Zielgrößen: Wasserrückhaltevermögen, die Additivkosten und die rheologischen Kenngrößen, u.a. Fließgrenze, Viskosität, Phasenverschiebungswinkel und Speichermodul.
Abb. 1: Wasserrückhaltevermögen der drei Celluloseether in Abhängigkeit von ihrer Dosierung; 95% Vertrauensintervall als gestrichelte Linien.
Abb. 2: Überlagerung von Kontourplots für die einzelnen Zielgrößen; Bereiche in denen eine der Bedingungen nicht erfüllt ist sind ausgegraut.
Für jede der Zielgrößen wurde ein mathematisches Modell berechnet und mittels Mehrzieloptimierung eine Rezeptur gesucht, die den Eigenschaften der Referenz-Spachtelmasse möglichst nah kommt.
Angesichts der Komplexität des Umgangs mit vier Faktoren und fünf Zielgrößen vor dem Hintergrundrauschen der Zufallsstreuung ist es selbst für den erfahrensten Formulierer fast unmöglich, eine Kombination aus Faktoreinstellung zu finden, die eine Formulierung ergibt, die alle Kriterien erfüllt.
Die numerische Berechnung der Rezeptur erfolgte anhand von folgenden Parametern: Das WRV soll mindestens 94% sein, die Fließgrenze mindestens 250 Pa, die Viskosität maximal 100 Pas und G‘ mindestens 4000 Pa betragen und die Rezepturkosten möglichst niedrig.
Dabei stellte sich heraus, dass die kostengünstigste Rezeptur welche alle Zielgrößen erfüllt, so aussieht: 70% Gips, 30% Kalksteinmehl, 0,30% CE1, 0,10% StE und 0,14% Beroplus (Abb. 2). Ein Bestätigungsversuch mit genau dieser Rezeptur zeigte, dass ich auf dem richtigen Weg war und die oben genannten Parameter allesamt erfüllt wurden.
Jetzt fehlte nur noch der Verzögerer …
Aufgrund besserer regionaler Verfügbarkeit entschied sich mein Kunde für Plast Retard PE als Verzögerer und dessen Dosierung wurde mittels Wärmeflusskalorimetrie optimiert (Abb. 3).
Abb. 3: Einstellen der Abbindezeit durch variieren der Verzögerermenge.
Die komplette Rezepturentwicklung ist datenbasiert und alle Entscheidungen sind für meinen Kunden nachvollziehbar.
Zeitaufwand: 26 Stunden
Kosten: EUR 2925,-
(Durchgeführt 2018)